Das Kreuz an die Decke gemacht

Der Co-Founder und President der Vereinigung GameRights lässt zum zehnjährigen Jubiläum Revue passieren.

Im März oder April des Jahres 2009 arbeiteten sowohl Dario als auch meine Wenigkeit beim damaligen ICT-Underdog Digitec. Beide waren wir passionierte Gamer und des Öfteren spielten wir gemeinsam ein paar Runden «Left 4 Dead» oder Ähnliches. Als junge Erwachsene, welche tief in der Zockerszene sassen, schlug uns der raue Wind, welchen alle europäischen Gamer spürten, hart entgegen: Seit Massakern wie Columbine oder Winnenden wurde der Ruf nach strengen Totalverboten sogenannter «Killerspiele» von Eltern, Lehrern und Medienoutputs, welche sich mit dem Nischenthema Gaming nicht auskannten, immer lauter.

In verschiedensten Blogs und Foren — damals war das noch das non-plus-ultra der Onlinediskussionskultur, Facebook hatten die meisten hierzulande erst seit ungefähr einem Jahr — monierten die Gamer in der Schweiz die Situation. Es sei eine Frechheit, meinten sie, dass wir nur aufgrund eines Hobbies in der virtuellen Welt so dreist in die kriminelle Ecke geschoben, als asoziale und einsame Versager verlacht würden. Boulevardzeitungen photoshoppten Screenshots, um sie noch brutaler aussehen zu lassen und behaupteten beispielsweise, dass in «Counter-Strike» Mütter mit Kindern umgebracht werden müssten. Und scheinbar, so der Konsens, wolle niemand öffentlich Partei für uns ergreifen.

Ich sass neben Dario am Arbeitsplatz, wir machten gerade kurz Pause und sprachen über das Thema. Dann meinte ich: «Eigentlich könnten wir selbst etwas machen und uns selber helfen.»

«Wäre möglich», sagte Dario, «aber wie?»

Und so entstand der Plan, eine Onlinepräsenz zu gründen. Das Ziel war es, die negative Energie der frustrierten Gamer zu bündeln, in positive Motivation umzuwandeln und so gemeinsam Aktionen, Proteste und Infoveranstaltungen zu organisieren. Unser Drive war gross, wir waren jung und hofften, etwas bewegen zu können.

Als Titel schlug ich den in meinen Augen griffigen Namen «GameRights» vor; auch schon damals war es ein Faktor, dass der Name als URL als auch in den sozialen Netzwerken noch verfügbar war. Der Untertitel, von Dario beigesteuert, lautete «Für unser Recht zu spielen!» und als Farbschema entschieden wir uns für kämpferisches Rot. In einer Nachtschicht meinerseits entstand das Logo mit der Waage und dem Controller, wobei sich jeder Designer heutzutage darüber die Haare raufen würde. Ich wusste es halt nicht besser und fand es grossartig.

Wir erzählten Freunden und anderen Gamern in Foren davon. Unsere Idee kam gut an, sehr gut sogar: Innert weniger Wochen hatten wir einige Hundert registrierte User im Forum, welche sich austauschen konnten. Auf der Welle dieses kleinen Hype wollten wir reiten (auch wenn wir beispielsweise die Betreiber einer Facebook-Gruppe, welche sich «Ich könnte [der Politikerin und offenen Videospielgegnerin, Anm. d. Autors] Evi Allemann pausenlos Headshots verteilen!» nannte, darum bitten mussten, nicht mehr unser Logo zu verwenden). Wir kontaktierten die Tageszeitung 20 Minuten, um «in die Medien zu kommen», ohne grosse Hoffnungen zu hegen. Doch tatsächlich erreichte mich einen Tag später eine E-Mail: Die Redaktion war interessiert und wollte uns kurz interviewen.

Eine knappe halbe Woche später erschien der Artikel sowohl online als auch im Print, und alle Dämme brachen. Wir verzeichneten innert kürzester Zeit mehrere Hundert neue Registrierte, welche das Forum fluteten und noch mehr Leben in die junge Bewegung brachten. Über die nächsten Wochen hinweg waren wir damit beschäftigt, alle auf derselben Linie zu halten und gemeinsam zu planen, wie es weitergehen soll. Der damals für die Videospielgegner inoffiziell federführende Berner SP-Politiker Roland Näf wagte sich gar in unsere Reihen, um uns — wie man es schon von ihm kannte — «Freude am Töten» und Ähnliches zu unterstellen. Wir waren wahnsinnig stolz, als die GR-Forenbenutzer geschlossen sachlich, freundlich und mit Biss alle «Argumente» des politischen Gegners auseinandernahmen. Dieser liess sich zwei Wochen später zu einem Kommentar herunter, welcher wieder direkt widerlegt wurde; seit dann war Funkstille. Näf und seine Mitstreiter gründeten irgendwann die Organisation Vereinigung gegen mediale Gewalt (VGMG), welche schon kurz später einem Skandal anheim fiel, da einige der Gründungsmitglieder zuvor bei einer sektenähnlichen deutschen Rechtsaussenorganisation dabei gewesen waren. Ab da wurde es still um die VGMG, doch bei GR ging es munter weiter. Und immer wieder dachte ich: «Wenn das nur gut kommt … wenn das alles klappt, male ich ein Kreuz an die Decke.» 

Wir gründeten am 2. Mai 2009 in der Brasserie Fédérale in Zürich den Verein GameRights, welcher zusammen mit der Community die Vereinigung GameRights bildete. So positionierten wir uns als Konsumentenorganisation der Gamer in der Schweiz mit Konzentration auf das Themengefüge «Jugendschutz und Spielverbote». Als erster Präsident (heute im englischen Synonym «President») fungierte ich, Dario übernahm die Rolle des Vizepräsidenten, weitere Mithelfer wurden in wichtige Vorstandsrollen gewählt und seit Anbeginn zierte ein kämpferisches Zitat Gottfried Kellers die Präambel unserer Statuten. Es begann eine Geschichte, welche mir für immer im Gedächtnis bleiben wird. Wir brachten grosse Spielehersteller dazu, ihre Spiele unzensiert in der Schweiz zu veröffentlichen, formten mit GameAgents ein Aufklärungsprojekt welches noch jetzt jährlich mehrere Auftraggeber und sogar «Stammkunden» hat, druckten unzählige Informationsflyer, hielten Dutzende Vorträge (unvergessen bleibt mir derjenige in St. Gallen unter Anwesenheit der jetztigen Bundesrätin Karin Keller-Suter — ich war so nervös, dass ich mit «Ich freue mich, dass ich heute hier sprechen muss» begann), errichteten langjährige gute Partnerschaften und arbeiteten nun sogar an vorderster Front am neuen Schweizerischen Jugendschutzgesetz für Filme und Games mit.

In diesen zehn Jahren habe ich gelernt, was es bedeutet, Menschen zu leiten, welche aus reinem Enthusiasmus mithelfen, sie zu motivieren, wenn dieser Enthusiasmus schwächer wird, mich bei Diskussionen mit wortgewandten Gegnern nicht in die Ecke drängen zu lassen und mit Medienanfragen geschickt umzugehen, mit Schwergewichten der Schweizer Politik zu kommunizieren, auch in unangenehmen Momenten proaktiv und konstruktiv hin- und für die Sache einzustehen, interne Krisen zu meistern, nicht überall den perfektionistischen Daumen drauf halten zu müssen, und was für wahnsinnige Talente ein gemeinsames Ziel bei den verschiedensten Menschen herauskitzeln kann. Ich durfte Menschen kennenlernen, welche nicht nur Mitstreiter, sondern Freunde wurden, solche, welche überhaupt nicht meiner Meinung waren und sich dennoch offen für eine konstruktive Diskussion zeigten. Ich durfte eine offizielle Konsumentenorganisation voller grossartiger Persönlichkeiten leiten, und das werde ich niemals vergessen.

Wir sind aber noch nicht fertig, es gibt noch einiges zu tun. Euch allen, die schon länger oder erst seit Kurzem mithelfen, mitlesen, mitschreiben, finanzielle Beiträge leisten, Standaktionen durchführen, Eltern und Lehrern mit wohl teils engelsgleicher Geduld immer wieder dasselbe mitteilen, Euch, die Ihr meine teils wohl mühsamen Persönlichkeitsfacetten mitmachen musstet, Euch, die Ihr an mich und an unsere Sache geglaubt habt, und ganz speziell Euch, den aktuellen und früheren Vorstandsmitgliedern, die hunderte Stunden an unbezahlter Arbeit geleistet haben, nur weil Ihr wie ich aus Prinzip nicht wolltet, dass ein ungefährliches Hobby durch Moralisten verboten wird — Euch gebührt mein riesiger, ewiger Dank, mein tiefster Respekt und meine vollste Wertschätzung. Wir dürfen unfassbar glücklich und stolz auf unsere Errungenschaften sein, einen Moment zurücklehnen und das grosse Kreuz an der Decke (X - 10 - get it?) betrachten. Und dann geht es weiter. We’re not done yet.

Für 2019 haben wir ein paar coole Dinge geplant, um unser Jubliäum zu feiern. Stay tuned.

GGWP, meine Freunde. GGWP.

Vielen Dank für alles und bis bald,

Euer Thomas, Co-Founder und seit 2009 President der Vereinigung GameRights

 

 

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