"Über Gamer wird oft dasselbe gesagt wie über Autisten"

Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit mich mit Janosch, einem Gamer mit Autismus, zu treffen. Wir haben uns zum Mittagessen in einem Restaurant in der Nähe des Triemli-Spitals in Zürich verabredet. Es sollte ein Gespräch werden, das ich so bald nicht mehr vergessen werde.

Direkt nach der Begrüssung fragt mich Janosch: «Hast du dich gut vorbereitet? Rain Man nochmals angeschaut?». Mir bleibt nichts anderes übrig, als herzhaft zu lachen. Aus dem 22-jährigen kaufmännischen Assistenten sprudeln die Worte nur so heraus. Jede Frage beantwortet er aus unterschiedlichen Perspektiven und mit einer Flut von Anekdoten, die Einblicke in eine Welt geben, die dem Schreibenden bisher verborgen war.

GameRights: Janosch, vielen Dank, dass du dir diese Zeit nimmst! Spielst du häufig?

Janosch: Wenn ich Zeit habe schon täglich.

Du arbeitest ja 100%, oder?

Genau. Ich spiele vielleicht eine halbe Stunde bis eine Stunde pro Tag, wenn ich müde bin von der Arbeit.

Hast du eine lieblings-Titelreihe oder ein lieblings-Genre?

Sicher einmal Rollenspiele. Gerne aber auch Action-Adventures oder einfach actionreiches. Was ich sicher nicht spiele, sind Sportspiele. Ich meine damit nicht Bewegungsspiele, diese finde ich ziemlich cool, sondern beispielsweise «FIFA». Dafür könntest du mich nicht begeistern.

Und was ist mit Shootern?

Auch, aber nur, wenn es einen Kontext gibt. Ich bin zum Beispiel ein riesiger Freund der «Fallout»-Reihe. Bis heute habe ich jeden Teil davon gespielt. Auch «Far Cry» habe ich sehr gerne gespielt, oder beispielsweise «Wolfenstein». Es muss einfach einen Kontext haben. «Battlefield» oder «Call of duty» habe ich noch nie wirklich gespielt, sondern nur kurz angespielt. Wenn man die Kampagne in «Battlefield 4» sieht muss man sagen, dass die Charaktere jetzt nicht soo der Hammer sind. Da gibt es einfach die Frau, den Mann, die beiden streiten sich, und das ist dann die Story (lacht). Sehr gut gefallen hat mir aber schon immer «Star Wars Battlefront», nur die Alten. Das sind bis heute die besten Singleplayer-Egoshooter, wie ich finde.

Janosch erzählt im Vorfeld zu diesem Gespräch, dass er bei Games grundsätzlich den Ton ausschaltet. In der Realität würde schliesslich auch keine heroische Musik laufen, wenn ein Reiter einsam über die Felder zieht. Einzig die Dialoge lässt er eingeschaltet, da Diese nötig seien, um dem Spielverlauf folgen zu können, und die Handlung des Games vermitteln.

Was sind Games für dich persönlich? Welchen Stellenwert haben sie für dich?

Einen Stellenwert zu beschreiben ist schwierig. Ich bin keiner, der Fantasy liest. Ich bin ein sehr faktenorientierter Mensch. Ich denke oft sehr mechanistisch. Ich kann das schlecht beschreiben. Zum Beispiel... mein Bücherregal sieht so aus: Oben sind die Bücher in Wissenschaftskategorien eingeordnet. Psychologie, Wirtschaft, Physik, Biologie. Und dann gibt es einen Bereich, in dem ausschliesslich Bücher über Spiele stehen. Ich bin einer, der gerne die Mechanik ausprobiert, der alles probiert haben möchte in einem Spiel. Ich habe für acht Spiele, die ich spiele, Lösungsbücher. Nicht weil ich schlecht bin in diesen Spielen, sondern weil ich wissen möchte, was noch alles möglich ist. Ich lese die Lösungsbücher auch gerne, einfach weil ich gerne lese. Ich habe zum Beispiel das Lösungsbuch zu «Skyrim» durchgelesen. 400 Seiten.

Aber gerade bei «Skyrim» wirst du doch ewig nicht fertig mit dem Spiel, wenn du alles ausprobierst, was möglich ist.

Richtig, das wird man nicht. Ich habe «Skyrim» auf fünf Plattformen. Dieses Spiel habe ich liebgewonnen. Bei Steam sind es aktuell 120 Stunden, und bei den Konsolen 600.

Janosch erzählt von einem Spielerlebnis, in dem er für dutzende Stunden seinen Mitspieler verloren, und unverhofft in einer Höhle wiedergefunden hat. Ganz abgesehen von der tollen Story erlaube das Spiel, das zu tun, was man möchte, wann man es möchte. Im Verlauf des Gesprächs hebt er diese Art von Games noch mehrmals positiv hervor.

Bei «Fallout 4» kommt man in einen Bunker, ohne zu wissen, was passiert ist. Also habe ich mir überlegt, was das wohl gewesen sein könnte. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass viele Einschusslöcher an den Leichen nicht passen. Im offiziellen Guide steht, dass es ein interner Aufstand gewesen sei. Das glaube ich aber nicht. In der Story geht ein Typ in diesen Bunker hinein, und dann werden alle in diesem Bunker erschossen. Die Einschusslöcher zeigen alle weg vom Eingang. Bei einem Aufstand müssten diese Löcher aber überall verteilt sein. Also muss doch jemand von aussen reingekommen und alle anderen erschossen haben? Bei anderen Spielen habe ich mir überlegt: War das, was passiert ist, überhaupt tödlich? Wenn zum Beispiel in «Skyrim» ein Gegner getötet wird, weil ich ihm einen Pfeil in die Schulter geschossen habe. Stirbt man wirklich daran? Also habe ich ein Biologiebuch hervorgenommen und nachgelesen. Und tatsächlich gibt es eine wichtige Blutader in diesem Bereich, und wenn diese getroffen wird, kann es tödlich sein.

An der Zurich Game Show des letzten Jahres haben wir uns kennen gelernt, und du hast direkt das Gespräch mit uns gesucht. Was hat dich damals an unserem Auftritt angesprochen?

Ich wollte wissen, warum ihr überhaupt da seid. Was macht das Gamerecht hier? Erst dachte ich, das sei etwas, das das Gegenteil von dem macht, was ihr tut.

Also war es eigentlich Neugier?

Genau. Ich quatsche generell gerne Leute an. Wenn ich zum Beispiel durch die Stadt gehe, und ein Bibelvertreter spricht mich an, dann höre ich ihm zu. Ich kaufe nichts, aber ich möchte wissen, was er zu sagen hat. Oder wenn ich im Internet Werbung sehe, dann schaue ich sie mir immer einmal an. Einfach um zu wissen, wofür diese Werbung wirbt.

Schon damals bei deinem ersten Besuch hast du uns gesagt, dass du autistisch bist. Kannst du erklären, was Autismus ist?

Erst einmal ist es so, dass ich nicht nur Autismus habe. Hinzu kommen eine Legasthenie und eine Form von ADS. Autismus ist einfach etwas, von dem ich mein Leben lang gehört habe, dass ich es habe. Aber ich merke den Autismus manchmal im Umgang mit anderen Menschen. Ein gutes Beispiel ist der Film «Dirty Dancing», den meine Mutter sehr gerne sieht. Ich habe diesen Film sicher fünf Mal gesehen, aber kann mich an fast nichts in diesem Film erinnern, weil ich die emotionalen Elemente darin nicht verstehe. Ich habe mich mit dir verbunden gefühlt, weil über Autisten oft Ähnliches gesagt wird, wie über Gamer. Über Gamer wird ja oft gesagt, sie seinen unkommunikativ. Wenn die meisten Leute mit 15 oder 16 in den Club gehen, gehe ich in die Bücherei und lese ein Buch. Oder ich gehe lieber ins Museum. Schon als Kind ging ich lieber ins Museum, als mit anderen Leuten zu spielen. Ich bin sozial anders, weil ich meist das Wissen über alles andere gestellt habe. Als Autist hast du das Problem, dass du andere nicht mit deinen Eigenschaften von dir überzeugen kannst. Ich muss mit dem Faktor «Gespräch» überzeugen, damit mich andere annehmen. Zum Beispiel bei einem Bewerbungsgespräch. Wenn du solche Schwierigkeiten hast im Leben, kannst du schlecht mit deinen Stärken punkten, weil das Negative stärker ausgeprägt ist. Als ich einmal in einem Bewerbungsgespräch für einen kaufmännischen Beruf war, sagte der Chef zu mir: «Aber Sie können ja nicht schreiben, wie wollen Sie dann jemals bei uns einen Brief schreiben?» Und ich sagte «ja, das stimmt». Ich musste erklären, dass ich vielleicht nicht gut Briefe schreiben kann, aber dass ich auch andere Sachen in der Firma übernehmen könnte, die ein anderer vielleicht nicht übernehmen könnte. Und jetzt bin ich in dieser Firma ein bisschen «Mädchen für alles». Ich kann viele Dinge gleichzeitig machen, weil ich mir vieles gut merken kann. Zudem habe ich eine gute Arbeitsmoral, bin immer pünktlich. Und auf diese Weise versuche ich zu überzeugen.

Janosch verwendet für alle seine Online-Accounts unterschiedliche Passwörter, die er alle im Kopf hat. Im Verlauf des Gesprächs ruft sein Bruder an, der eines seiner Passwörter vergessen hat. Janosch kennt auch Dieses auswendig. Sein ausgezeichnetes Gedächtnis beeindruckt.

Ich habe als Vorbereitung für unser Gespräch versucht, mich auf Wikipedia über Autismus schlau zu machen. Aber da gibt es ja dutzende, gar hunderte verschiedene Ausprägungen.

Genau, es gibt ja ein autistisches Spektrum. Autismus hat sehr viele unterschiedliche Richtungen. Sehr bekannt ist der «autonom-Autismus». Das ist ein Autist, der kein Wort mit dir redet.

Also nicht, weil er nicht sprechen kann…

…nein. Das sind Leute mit einem sehr hohen Intellekt, häufig mit einem hohen IQ. Ich habe in meinem Leben zwei solche Menschen kennen gelernt. Die Eine war ein Lehrling bei uns, ich war ihr Oberlehrling. Und der Lehrer gab den Auftrag, einen Vortrag vorzubereiten. Aber wie sollte ich mit dem Lehrling sprechen, wenn sie nicht mit mir spricht? Ich habe dann angefangen, wie bei einem Tauben mit einer Tafel zu arbeiten. Sie hat mir dann aufgeschrieben, was sie ausdrücken wollte. Sie konnte dann eine Dokumentation machen, da ein Vortrag für sie halt nicht möglich war. Als Thema hat sie sich «Rassismus» ausgesucht, gefordert waren 50 Seiten. Extrem gut recherchiert, extrem detailliert, hammermässig geschrieben. Denn sie weiss ganz genau, wie sie etwas schreiben muss. Sie kann zwar nicht mit dir sprechen, aber sie weiss punktgenau, wie ein Text sein muss, um jemanden zu überzeugen.

Dann gibt es noch atypische Autisten, da gehöre ich zum Teil dazu, ist bei mir aber nicht eindeutig klar. Das sind Leute, die die Eigenschaften haben, aber nicht so stark vom Autismus beeinflusst werden. Sie haben zum Beispiel kein Problem damit, zu reden. Autisten haben sehr oft, wenn auch nicht immer, soziale Schwächen und haben irgendeinen Punkt, in dem sie ziemlich gut sind, in dem sie besser sind als andere. Einer den ich kenne hat ein fotografisches Gedächtnis. Er kann ein Buch lesen und nachher sagen, in welchem Kapitel dies oder jenes beschrieben wurde. Er hat lange nach einem Job gesucht und arbeitet heute bei einer Versicherung als Aktenverwalter. Das ist natürlich ein Hammerjob! Wenn da jemand kommt und sagt, er brauche Akte fünf, weiss er genau, welche Akte das ist, was drin steht und wo sie liegt. Bei mir ist es etwas anders. Da der Autismus bei mir nicht so ausgeprägt ist, habe ich versucht ihn für meine Technik, mit Menschen zu sprechen, zu nutzen. Wenn ich zum Beispiel Menschen treffe, sehe ich sie mir ganz genau an, und definiere bestimmte Punkte, auf die ich achte.

Kannst du ein Beispiel machen? Worauf achtest du konkret?

Zum Beispiel wenn Leute mit mir sprechen, schaue ich manchmal auf ihre Füsse. Wenn die Füsse in deine Richtung zeigen, finden sie interessant, was du erzählst. Menschen tun das unbewusst. Oder Leute, die einmal von einem Hund gebissen wurden, halten sich häufig mit einer Hand an dieser Stelle, an der sie gebissen wurden, wenn sie wieder einem Hund begegnen. Oder ich achte darauf, ob jemand einen Ehering trägt. Und wenn eine Frau mehrere Ringe trägt, ist meist einer dabei, der nicht zu den anderen passt. Das ist der Ehering, denn meistens hat der Mann diesen Ring gekauft und nicht die Frau selbst.

Erst jetzt fällt mir auf, dass wir, seit mich Janosch vom Bahnhof abgeholt hat, fast ununterbrochen am Lächeln und Lachen sind. Er erzählt seine Geschichten so voller Emotionen, dass es unmöglich ist, sich nicht mitreissen zu lassen.

Menschen sind das Interessanteste, was es gibt. Nein, ich verstehe sie nicht, aber für mich sind Menschen interessant. Früher hatte ich zum Beispiel Schwierigkeiten, mit Menschen zu reden. Nicht so wie jetzt mit dir, sondern wenn man zum Beispiel alleine im Bus oder Zug unterwegs ist. Da kannst du nicht einfach jemanden anquatschen, du kennst diese Menschen ja nicht. Dann habe ich Techniken entwickelt, um mit Menschen in Kommunikation zu kommen, die ich nicht kenne. Ich habe zum Beispiel einmal Leute gesehen, die wohl nicht aus der Schweiz gekommen sind und habe sie in Walliserdeutsch angesprochen. Sie fragten mich dann, welche Sprache ich spreche. Und ich habe ihnen in Hochdeutsch, in ihrer Sprache, Antwort gegeben. Und so haben diese Leute unbewusst ein Gespräch mit mir angefangen.

Du willst demnach also mit den Menschen sprechen?

Ja, ich liebe es, mit Leuten zu reden.

An diesem Punkt versuche ich, alles zu vergessen, was ich auf Wikipedia gelesen habe.

Meine Mutter sagt, ich hätte schon geredet, bevor ich laufen konnte. Ich bin natürlich manchmal auch gerne alleine, in der Firma esse ich immer alleine. Und manchmal betrachte ich die Leute gerne. Wenn ich zum Beispiel jemandem beim Zeitunglesen zuschaue und ich sehe, dass er an einer bestimmten Stelle sehr lange liest, dann schaue ich nachher nach, was dort steht. Und dann kann ich ihn auf dieses Thema ansprechen, um das Gespräch zu beginnen. Mein Lehrer sagte mal, ich habe keinerlei Kontaktängste. Die meisten Menschen hätten Angst vor fremden Leuten, weil sie ihnen suspekt vorkommen. Ich hätte das nie gehabt. In einer grossen Firma ist es selten so, dass man jeden kennt. Ich bin aber einer, den man schwer wieder vergisst. Ich pflege die Kontakte auch sehr gerne.

Wenn du dich in der Öffentlichkeit bewegst, auf einem Trottoir, «scannst» du die Leute dann gewissermassen ab?

Ja. Jeden Menschen, den ich neu treffe, ist für mich ein neuer «Fall». Ich bewerte Menschen niemals subjektiv. Ich werde nie über einen Menschen etwas sagen, das nicht beweisbar ist. Wenn mich zum Beispiel eine Frau fragt, ob sie in dem Kleid schön aussehe, muss ich ihr sagen, dass ich keine Ahnung habe, wie sie aussieht. «Schön» kannst du nicht objektiv erklären. Wenn sie mich fragen würde, ob ihr Kleid grün aussehe, könnte ich klar sagen, dass es nicht grün aussieht, weil sie kein grünes Kleid trägt. Die Frage «siehst du schön aus» ist für mich keine Aussage. Ich kann niemals jemandem sagen, er sähe gut aus. Das kann man von mir nicht verlangen, weil ich diese Art von Emotionalität nicht kenne. Wenn mich jemand fragt «sehe ich in deinen Augen gut aus» muss ich antworten, dass sie für mich genauso aussieht wie alle anderen auch. Ich weiss nicht was ich antworten soll, denn es gibt keine Formel dafür.

Das heisst, du hast noch nie eine Fremde angesehen und dir gedacht: Das ist aber eine schöne Frau!

Nein, das habe ich noch nie. Ich habe einen Kollegen, der war bekannt dafür, viele Frauen zu kennen. Dann kam er immer mit den Bildern von diesen Frauen daher: «Hey schau mal, findest du die gut, gell, die ist toll?». Und ich sagte «ja, ist wirklich schön. Also die Uhr ist schön». Verstehst du? Es ist schwer für mich, einen Massstab zu finden. Viele Männer sagen, eine gutaussehende Frau müsse so und so sein. Das kann ich nicht. Es ist auch schwer für mich, Gefühle, zum Beispiel Liebe, zu beschreiben. Wir hatten in der Schule mal die Aufgabe, in einem Text «Liebe» zu beschreiben.

Für dich eigentlich eine unlösbare Aufgabe?

Ich habe dann einfach einen Film zitiert: «Das fünfte Element». Das war damals der einzige mir bekannte Film, der mit Liebe zu tun hatte. Ich habe einfach geschrieben, Liebe sei die stärkste Kraft im Universum. Denn das war ja die Botschaft des Films.

Du hattest ja gesagt, «Dirty Dancing» hast du schon zigmal gesehen, kannst dir aber nichts daraus merken. Heisst das umgekehrt, dass dir eine Dokumentation über Gravitationswellen im Gedächtnis bleibt?

Ja, weil es mathematisch ist. Man kann die Begründung verstehen. Die Reihenfolge der Planeten in unserem Sonnensytem ist für mich kein Problem. Und wenn es für Dinge keine Erklärung gibt, versuche ich, die Erklärung zu finden. Ich bin in vielen Bereichen ein bisschen geschult, Biologie, Physik, Naturwissenschaften, Geschichte, Wirtschaft, Psychologie, Philosophie…

Aber ist nicht gerade Psychologie und Philosophie etwas nicht fassbares? Psychologie ist vielleicht eine Grauzone, aber gerade in der Philosophie geht es doch um Weltanschauung?

Genau, Philosophie ist so ein Grenzfall. Für mich ist das ein sehr schwieriges Thema. Philosophie beschäftigt sich beispielsweise mit der Frage, was nach dem Tod ist. Das ist für viele Menschen schwierig zu greifen, für mich ebenfalls, denn ich habe keine Begründungen für diese Aussagen.

Das ist doch auch bei Fragen nach dem Sinn so. Während sich ein Physiker mit dem «wie», aber niemals mit dem «warum» beschäftigt, ist es in der Philosophie umgekehrt.

Ich versuche diese Dinge gewissermassen zu mischen. Sinn oder Wahrheit. Ein Quantenteilchen ist zwar Teil der Physik, gehört aber trotzdem zur Philosophie, weil es zwar zwei Formen annehmen kann, man aber nie weiss, welche Form. Es ist unwirklich.

Kommen wir nochmals zu den Games zurück. Hast du das Gefühl, dass dich das Gaming im Zusammenhang mit deiner Beeinträchtigung irgendwie beeinflusst? Können dir Games in irgendeiner Form helfen? Oder, umgekehrt, bist du eingeschränkt beim Gamen?

Das ist schwierig zu beantworten. Was ich sagen kann, ich bin ja Legastheniker, habe also eine Rechtschreibschwäche, und da hat mir das Gamen sehr geholfen. Ich habe damals angefangen, «Skyrim» zu spielen, und dort muss man einfach lesen können. Denn damals gab es keine Sprachausgabe. Und so habe ich angefangen, gut lesen zu lernen. Ich merke, dass dieses Spiel mir beim Leseverständnis geholfen hat. Meinem Bruder hat das ebenfalls geholfen. Als Kind hatte ich das Problem, heute weniger, dass ich grosse Schwierigkeiten hatte, einen Text zu lesen und zu verstehen.

Der Autismus hat bei mir mehr mit Ordnung zu tun. Das ist eher eine Einschränkung. Nicht im Spiel selbst, sondern wie man spielt, wie man eine Situation betrachtet. Beispiel «Minecraft»: Die meisten in Minecraft sind gerne Höhlenforscher und sammeln Dinge. Ich bin bestimmt fünf Tage damit beschäftigt, ein Haus zu bauen. Denn ich brauche etwa 18 Kisten im Lager mit einer bestimmten Ordnung. Ich muss immer Ordnung haben. Auch mit geraden Zahlen. Zum Beispiel in einem Shooter die restlichen Kugeln in einem Magazin, das muss am Ende vom Level immer eine gerade Zahl sein. Bei «Wolfenstein» muss ich manchmal noch etwas rumschiessen, damit ich eine gerade Zahl bekomme. Auch das Nachladen finde ich in vielen Spielen sehr interessant. Es gibt auch viele Fun Facts zum Nachladen. Ein gutes Beispiel ist die Fallout-Reihe, wenn man es kennt, der «Fat Boy», dieser Mini-Atomwaffen-Werfer. Der macht ein «bing»-Geräusch, wenn nachgeladen wurde. Und das ist das Geräusch der Kantinenglocke im Bethesda-Studio (Das Entwicklerstudio hinter der Fallout-Reihe, Anm. d. Autors), das zum Mittagessen läutet. Auch die Technik interessiert mich sehr, also wie ein Spiel aufgebaut ist. Ich glaube, Autismus bewirkt bei mir, dass ich viele Dinge erkunden will, neugierig bin. Es gibt bei Gebäuden oft einen Grund, warum sie da stehen. Ich lese deshalb auch alle Nachrichten in einem Gebiet. Oder auch wie ich bestimmte Dinge tue. Zum Beispiel fange ich mehrmals mit unterschiedlichen Charakteren an. Meistens hat ein Charakter ja schon eine riesige Backstory, bevor das Spiel überhaupt angefangen hat. Und dieser Hintergrund, diese Mythologie finde ich interessant.

Also nicht, weil du mit einem Charakter bestimmte Vorteile im Spiel hast?

Für mich sind das keine Vorteile, das ist Fassade. Meine Charaktere heissen auch immer gleich, sind immer weiblich. Warum es eine Frau ist, weiss ich nicht, vermutlich aber, weil der Name in der Mythologie immer eine Frau anspricht. Der Name ist «Sophie», und ist der Name für die Göttin der Weisheit. Ich weiss nicht, ob es diesen Gott auch in männlicher Form gibt.

Zum Schluss: Gibt es etwas, das du unseren Leserinnen und Lesern gerne mitgeben möchtest?

(überlegt einen Moment) Wenn ihr Eltern habt, die Probleme mit dem Gaming haben, dann lasst sie mal spielen. Gerade wenn ihr in meinem Alter seid, kann es gut sein, dass eure Eltern früher auch gespielt haben. Ich habe mir kürzlich den Nintendo Mini gekauft. Meine Mutter hat dann «Final Fantasy» wieder für sich entdeckt. Versucht mit einfachen Spielen, an eure Eltern heranzukommen. Vielleicht «Mario Party». Ein Ballerspiel ist dafür wohl weniger geeignet. Bei meinen Eltern ist das bis heute ein schwieriges Thema. Seid euch bewusst, dass eure Eltern dieses Medium nicht kennen. Und schaut, wofür sie sich interessieren, zum Beispiel in Serien. Viele schauen gerne «Game of Thrones» und das ist nicht weniger brutal als viele Spiele. Dasselbe gilt für viele Detektivserien. Und wenn es wirklich schwierig ist, versucht, eure Eltern mit Lernspielen zu begeistern.

 

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus einem fast dreistündigen Gespräch über Trump, Hänsel und Gretel, Geschichten aus der Kommunalpolitik, Schrödingers Katze, den Zwergplaneten Pluto und unzählige weitere Themen. Janosch hat mich tief beeindruckt. Im Gespräch mit ihm fällt es schwer, Autismus als «tiefgreifende Entwicklungsstörung» (Wikipedia), und nicht als normales Persönlichkeitsmerkmal wahrzunehmen. Janosch erklärt sich zum Schluss unaufgefordert bereit, bei GameAgents auszuhelfen, wenn Not am Mann besteht. Sein Schlusssatz beweist, dass er für diese Aufgabe definitiv die richtige Einstellung hat.

Das Gespräch wurde von Peter Ruoss, Vice President der Vereinigung GameRights geführt. Es fand in Schweizer Dialekt statt.
Janosch ist gerne über Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! für Fragen erreichbar.

 

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