Wenn zwei sich streiten, verliert der Dritte

Der Rechtsstreit zwischen Epic und Apple eskaliert zusehends und wird als Kampf zwischen David und Goliath vermarktet. Dennoch messen sich hier zwei Industriegiganten und am Ende geht es — wie immer — nicht um Fairness oder gar das Beste für die Konsumenten, sondern nur um eines: Geld.

Die Ausgangslage

Tim Sweeney, Epic-CEO, 2017. Wikipedia

Einen «sad state of affairs», also einen «traurigen Zustand», nannte Epic-CEO Tim Sweeney die Reaktion von Apples Anwälten auf seine Anfrage, welche den wohl grössten und wichtigsten diesjährigen Rechtsstreit der Digitalindustrie ins Rollen bringen würde. Am 30. Juni hatte der Gründer und Chef des Gaming-Grosskonzerns, welcher den Ultrahit Fortnite entwickelt hat und Teil des Investitionsportfolios des chinesischen Megaunternehmens Tencent ist, an Apple-CEO Tim Cook und einige weitere Schlüsselpersonen des Konzerns eine E-Mail gesendet, in welcher er im Prinzip um eine Extrawurst bat: Epic sollte volle Kontrolle über seine In-App-Transaktionen erhalten.

Wie spätestens jetzt fast alle wissen, greift sich Apple 30% aller In-App-Transaktionen auf iOS-Geräten ab. Dies bedeutet, dass jeder Rappen, der innerhalb einer iOS-App ausgegeben wird — saliente Beispiele wären das Erweitern eines Abonnements, das Freischalten von Vollversionen oder der Kauf von In-Game-Währungen — über die Apple-interne Zahlungsfunktion «IAP» geht; 70% davon erreichen den App-Entwickler, 30% bleiben beim Computerriesen aus Cupertino. An dieser Stelle bleibt anzumerken, dass Apples grösster Mobile-Konkurrent Google, dessen Betriebssystem Android der weltweit übermächtige Marktteilnehmer ist, den Entwicklern der auf dem offiziellen Google Play Store zwar mehr Freiheiten lässt, ihnen allerdings dennoch 30% der In-App-Transaktionen abnimmt. Im Kern der Sache sind Sweeney und Epic damit nicht einverstanden. Sie forderten von Apple komplette Freiheit vom App-Store-Transaktionssystem, um die In-App-Käufe für ihr Multimillionenspiel Fortnite selbst zu kontrollieren und so 100% des Geldes selbst einzunehmen. Dasselbe verlangten sie zumindest offiziell für alle Entwickler, welche Apps für iOS über den Apple App Store vertrieben: Apple sollte keinen Anteil dieser app-internen Transaktionen mehr für sich abzwacken, damit die Developer mehr verdienen.

Das Apple-Management war damit, wie zu erwarten war und von Sweeney auch so vorausgesehen werden musste, nicht einverstanden. Sie zeigten sich enttäuscht darüber, dass gerade Epic — ein Unternehmen, das alle für Entwickler frei verfügbaren Technologien wie Apples Engine «Metal», weitere Softwarepakete und die schiere Reichweite des App Stores über Jahre gerne nutzte — sich als unterdrückten Entwickler gab und Apple sein hauptsächliches Gewinninteresse über seinen eigenen Store absprechen wollte. Sweeney reagierte umgehend und kündigte einen Bruch mit den zuvor vertraglich akzeptierten Regeln Apples an. Daraufhin lud Epic eine Version von Fortnite in den App Store, welche tatsächlich eine Umgehung des «IAP» in sich trug. Es kam, wie es kommen musste: Apple schmiss Fortnite vom App Store. Nur kurze Zeit später veröffentlichten Epic ihr Kurzvideo «Nineteen Eighty Fortnite», eine Anspielung auf Apple's mittlerweile legendäre Superbowl-Werbung von 1984, in welchem das noch junge Unternehmen die Monopolstellung IBMs aufs Korn nahm, und forderte alle Fortnite-Fans dazu auf, über die sozialen Netzwerke mittels des Hashtags #FreeFortnite Druck auf Apple auszuüben. Der aktuelle Stand: Epic verklagte zusätzlich Google auf im Kern dieselben Forderungen, Apple drohte Epic den Verlust ihrer Entwicklerkonten für iOS und macOS an. Gerade letzteres könnte für die Welt der grossen und kleinen Entwickler verheerend sein, denn Epics Spielengine «Unreal» ist eine der meistgenutzten Engines der Welt. Funktioniert diese nicht mehr auf Apple-Geräten, geht damit ein massiver finanzieller Verlust einher; verschiedene Softwarehäuser könnten direkt pleite gehen.

Die langfristigen Folgen

Auf dem Spiel steht im Endeffekt nicht nur die Zukunft von Fortnite auf iOS-Geräten. Epics Angriff, den sie selbst als Kritik gegen die Monopolstellungen von Apple und Google verstehen, könnte die Landschaft der App Stores fundamental verändern. Würden Apple und Google unterliegen, müssten sie ihre Plattformregeln komplett überdenken, denn es ist nicht zu erwarten, dass sie die verlorenen Einkünfte einfach schulterzuckend wegstecken würden. Ein App auf den App Store oder Google Play zu laden, würde für wichtigere Entwicklungshäuser vielleicht lukrativer, da diese das grosse Geld über In-App-Purchases machen. Kleinere Entwickler jedoch sähen sich vielleicht vor neu höheren und teureren Zugangsschranken zu den App Stores — rentiert sich das Hochladen einer App nicht mehr, wird sie nicht entwickelt; Jobs gehen verloren, vielleicht bahnbrechend innovative App-Ideen werden nie realisiert. Auf der anderen Seite ist nicht abzustreiten, dass Apple und Google definitiv riesige Macht darüber haben, was auf den fast einzigen kontrollierten und unter den Benutzern Vertrauen geniessenden Plattformen geschaltet wird und was nicht. Rentiert das System nicht mehr, fordern sie einfach mehr Geld ein, denn der Entwickler ist am kürzeren Hebel: Entweder er beisst in den sauren Apfel und zieht mit, oder er lässt es sein und verliert tendenziell sein gesamtes Einkommen.

Genau an dieser Stelle scheiden sich unter den Zuschauern die Geister: Apples hochgradig polarisierende Position unter den Mobile- und Computernutzern führt dazu, dass ein Teil der Öffentlichkeit automatisch für oder gegen sie Position ergreifen. Gleich ist es mit Epic: Fortnite hat Millionen von Fans, das Unternehmen verstand es, seine Follower in den Kampf miteinzubeziehen und so öffentlichen Druck aufzubauen. Gleichzeitig gibt es eine nicht zu unterschätzende Publikumsgruppe, welche das omnipräsente vermeintliche Kinderspiel Fortnite passioniert verachtet. Dazwischen sind Menschen, denen Brand- oder Game-Zugehörigkeitsgefühle zumindest in diesem Falle fremd sind. Einige tendieren dazu, für Apple Partei zu ergreifen, denn «pacta sunt servanda»: Verträge sind einzuhalten, man kann sie nicht einfach über Gerichte umgehen zu versuchen, wenn man lustig ist, und wer es dennoch versucht, ist ein «Hund» (kein Witz, ein Bekannter von mir hat das tatsächlich so gesagt). Andere freuen sich aus Prinzip, dass jemand den angeblich übermächtigen Monopolisten Paroli bietet und ihre «halsabschneiderischen Geschäftstaktiken» (auch hier: genau so gehört) bekämpft. Und zuletzt gab es da jemanden in meinem Bekanntenkreis, der sagte: «Verträge haben nicht mehr denselben Wert wie früher. Heute läuft die Welt einfach so. Man probiert halt, damit durchzukommen. Verträge sind auch nicht das Wahre, sonst gäbe es ja keine Anwälte».

Die Meinung des Autors, oder: pacta sunt servanda

«Pacta sunt servanda», «Verträge sind einzuhalten», lautet ein
uralter aber immer noch zentraler Rechtsgrundsatz. Daran hat
sich auch Epic zu halten. Wikipedia

Es ist keine einfache Sache.

Grundsätzlich ist Epic in zumindest einer Position Recht zu geben: Apple und Co. ziehen mit 30% aller Transaktionen wirklich ziemlich viel Geld ab. Bei millionenschweren, zum Hype avancierten Apps wie Fortnite bedeutet das schnell Summen im sieben- bis achtstelligen Bereich, die Epic durch die Lappen gehen — für eine App, deren Wert sie selbst erschaffen haben. Apple sowie Google sind überdies monolithische Unternehmen, welche die «Verluste» tendenziell verschmerzen könnten. Zusätzlich lassen sich grundsätzliche Revolutionen gerade bei Geldgeschäften fast nie schmerzlos durchziehen, einen Knall braucht es dazu oft. Dennoch stehe ich hinter meiner Position von «pacta sunt servanda». Dieser lateinische Rechtsgrundsatz bedeutet übersetzt «Verträge sind einzuhalten» und gilt im Vertragsrecht weltweit als Kernwert, denn nur mithilfe der juristischen Stärkung der Position von Verträgen behalten diese überhaupt ihren Wert und damit der durchschnittliche Rechtsanwender — jeder von uns geht täglich mehrere verschiedene Verträge ein — das Vertrauen in die Institution der Obligation. Epic hat gute, teure Anwälte und weiss das. Die gesamte Übung war eine von langer Hand geplante Marketingkampagne: Zieht Apple wider Erwarten mit, gewinnt man bei Epic Geld; wehrt sich Apple, verlässt man sich aufs Schema «Cancel Train». Mich persönlich stört es insofern gewaltig, dass Epic sich als kleinen David, als kämpferischen Robin Hood aufspielen und mithilfe von Parodievideos und Hashtags ihre mehrheitlich minderjährige Fangemeinde als soziale Waffen benutzen. Wer darüber hinaus glaubt, dass Epic innert einer Stunde nach dem Rauswurf eine mehrere Dutzend Seiten lange Klageschrift und ein komplett 3D-gerendertes Video herstellen konnten und die nicht schon zuvor vorgearbeitet und bereit hatten, ist einfach nur naiv.

Gerade die «wir Kleinen gegen den bösen grossen Konzern»-Strategie ist purer Hohn und brutal scheinheilig. Epic wird zu fast 50% vom übermächtigen chinesischen Unternehmen Tencent gehalten. An tieferliegende Motive aus der Welt «China vs. USA» glaube ich im vorliegenden Falle nicht, allerdings kann man in dieser Position einfach nicht die Kommunikation vorschieben, welche Epic an den Tag gelegt hat, und damit noch glaubwürdig bleiben. Darüber hinaus ist es absurd, Apple als halsabschneiderischen Monopolisten darzustellen, denn ohne die jahrelange Aufbauarbeit des Konzerns — der App Store hat nur so einen Reach, weil er glaubwürdig, sauber, aktiv und auf einer Billion beliebten Geräten verfügbar ist — hätte Epic diese riesigen Geldsummen auch unter Einbezug der unglücklich betitelten «Apple Tax» von 30% nie eingenommen.

Schlussendlich aber trifft es wie immer, wenn zwei Grosse sich streiten, die Kleinen. In diesem Fall sind das die Konsumenten. Sie haben keinerlei Mitspracherecht (nein, dass Epic in ihrer neusten iOS-Fortnite-Version die Wahl zwischen App-Store-Transkation und ihrer eigenen, günstigeren Transaktion liessen ist keine ehrliche Mitsprache) und dürfen nur dabei zuschauen, wie zwei Grosskonzerne sich um Geld streiten. Gewinnt Apple, bleibt zumindest alles beim Alten, nur müssen Entwickler immer noch die ziemlich hohen 30% abdrücken. Gewinnt Epic, ändert sich alles. Apple und Google werden nicht einfach zuschauen und stattdessen die Kosten für das reine Einstellen und Vertreiben von Apps massiv erhöhen. Dies dürfte zu Initialhürden führen, welche kleinere Hersteller und Dev-Enthusiasten massiv abschrecken — vielleicht werden wir so das nächste Vine, das nächste Instagram, die nächste geniale Produktivitäts-, Kommunikations- oder Unterhaltungs-App nie zu Gesicht bekommen. Und egal wie es ausgeht: Läuft Epics Engine nicht mehr auf Apples Geräten, wird tausenden kleinen und grossen Entwicklern der Teppich unter den Füssen weggezogen.

Epic weiss das alles, und macht trotzdem weiter. Was uns einmal mehr zur nüchternen Einsicht bringt: Egal, wie nahbar, viral und positiv grosse Konzerne ihr Marketing und ihre Kommunikation aufbauen, sie sind grundsätzlich nicht unsere Freunde, sondern unsere Geschäftsanbieter und -partner.

 

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