Der Millennial-Attentäter

  • Adrian
  • 26. März 2019
  • Essays
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Der Schütze von Christchurch ist Terrorist. Und Gamer. Welche Rolle spielten Computerspiele wie Fortnite beim bestürzenden Attentat in Christchurch und wie ist diese zu bewerten? Eine erläuternde Analyse für Erziehende.

15. März 2019 – In zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch schiesst ein schwerbewaffneter Mann während des Freitagsgebets auf die Betenden. 50 Personen sterben, dieselbe Anzahl weitere Menschen werden verletzt. Der Schütze, ein 28-jähriger Australier namens Brenton Tarrant, filmt das Attentat mit einer Helmkamera und streamt es live über Facebook. Wenige Minuten vor dem Attentat veröffentlicht er ein 74-seitiges Manifest. In diesem bezieht er sich auf zahlreiche Verschwörungstheorien aus rechtsextremen Kreisen, aber auch auf mehrere Memes aus dem Internet, auf den YouTuber PewDiePie und die Videospiele Fortnite und Spyro. Das Attentat erscheint stark beeinflusst durch die digitale Kultur, deren Inhalte sich den nicht-digitalen Generationen entziehen. So versuchten vereinzelt Zeitungen und Newsportale kurz nach dem Attentat einmal mehr, das Attentat mit Videospielen zu begründen.

Im Rahmen unseres Zieles Erziehende über Videospiele und Videospielkultur aufzuklären, versuchen wir in diesem Artikel verständlich zu machen und zu erklären, was Fortnite, „the Floss“, Spyro und weitere Elemente aus dem Manifest darstellen und bedeuten.

Was sind Spyro, Fortnite und „the Floss?“

„Ja, 'Spyro the Dragon 3' lehrte mich Ethno-Nationalismus. 'Fortnite' trainierte mich, ein Killer zu sein und auf den Leichen meiner Feinde zu tanzen.“

Dieses Zitat aus dem Manifest wurde als Basis genommen, um Videospiele für das Attentat mitverantwortlich zu machen. Dabei wird es komplett aus dem Kontext genommen. Im Manifest interviewt sich der Täter selber und stellt die Frage: „Wurde dir Gewalt und Extremismus durch Videospiele, Musik, Literatur und Filme beigebracht?“ Die vollständige Antwort darauf lautet: „Ja, Spyro the Dragon 3 hat mir den Ethno-Nationalismus beigebracht. In Fortnite habe ich trainiert, ein Mörder zu sein und auf den Leichen meiner Feinde „the Floss“ zu tanzen. Nein.“ Das „Nein“ am Ende unterstreicht den Sarkasmus dieser Antwort. Aber wer ist Spyro, was ist Fortnite und was bedeutet es, „the Floss“ zu tanzen?

Mit Spyro the Dragon 3 ist das ursprünglich im Jahr 2000 erschienene “Spyro: Year of the Dragon“ gemeint. In diesem Plattformer spielt man den lilafarbenen Drachen Spyro, hüpft und gleitet mit ihm durch unterschiedliche Welten und bekämpft die bösen Rhynocs – anthropomorphische Nashörner – mit dem Ziel, die von der bösen Zauberin gestohlenen Dracheneier zu retten. Das Spiel erinnert sowohl im Gameplay – der Art und Weise wie das Videospiel gespielt wird – wie auch in der kinderfreundlichen Ästhetik an dreidimensionale Super-Mario-Spiele und ist auch klar an Kinder gerichtet. Die Neuauflage von Spyro 3 (2018) hat auf der Playstation 4 eine Altersfreigabe von 7 Jahren nach dem PEGI-System.

Fortnite wiederum ist ein heutzutage vor allem unter Kindern und Teenagern extrem populäres Videospiel, in welchem 100 Spieler auf einer Insel versuchen zu überleben bis nur einer übrig ist und sich hierbei mit fiktiven Waffen gegenseitig bekämpfen. Die Ästhetik des Spiels ist sehr zeichentrickhaft und wenig realistisch. Gespielt wird ausschliesslich online, Story findet man in diesem Modus keine. „The Floss“ ist ein Tanz im Spiel, welcher vom Spieler per Knopfdruck ausgelöst werden kann. Dies dient üblicherweise als Provokation oder zur Verhöhnung der Gegenspieler, wenn diese gerade verloren haben.

Punktuell wird in der Diskussion ein weiterer Aspekt des Attentats mit Computer- und Videospielen in Verbindung gebracht: Die Perspektive des während dem Attentat gestreamten Videos. Mit einer Helmkamera gefilmt, erinnern die Aufnahmen an Ego-Shooter, auch First-Person-Shooter genannt. Zensurbefürworter benutzen dafür gerne den Begriff „Killerspiele“. Diese Spiele sind grundsätzlich an Erwachsene gerichtet. Mit Schusswaffen kämpft man sich durch unterschiedliche Level oder misst sich online mit anderen Menschen. Die Spiele verlangen den Spielern taktisches Denken und rasche Reflexe ab. Dabei schauen die Teilnehmer am Bildschirm aus der Ich-Perspektive auf die Waffe und Hände des Spielcharakters.
Visuell bestehen hier Parallelen zum Video des Attentats. So hat Tarrant seine Waffen auch beschriftet – individuelle Verzierungen der Waffen sind auch in Online-Shootern sehr beliebt, allerdings fallen diese bunt und humoristisch aus, während der Attentäter rassistische Parolen und die Namen von Tätern xenophober Übergriffe verwendete. Zusätzlich erinnert der Akt des Streamens an sich an die äusserst populären Let´s-Play-Videos auf YouTube oder der Streaming-Plattform Twitch. Bei solchen filmen sich Videospieler – sogenannte Streamer – beim Spielen und teilen die Erfahrung online mit anderen. Manche dieser Streamer erreichen dabei ein Millionenpublikum. 

Warum bezieht sich der Täter in seinem Manifest auf Videospiele?

Wieso machte er spezifisch diese Aussage zu Videospielen? Wieso erwähnte er ausgerechnet diese Spiele? Diese Fragen sind schwer zu beantworten, denn sie führen immer zu einer spekulativen Antwort. Vor allem wird die Interpretation seiner Worte durch seine sarkastische Satire erschwert.

Wieso bezieht er sich spezifisch auf Spyro? Aufschluss hierzu können eventuell die Tatwaffen geben. Diese hat Tarrant, wie schon genannt, mit zahlreichen Referenzen an rechtsextremes Gedankengut beschriftet, darunter auch die Zahl „14“. In rechtsextremen Kreisen steht diese für vierzehn Wort lange Phrase „We must secure the existence of our people and a future for white children.“ (Auf Deutsch: Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weisse Kinder sichern.). Hier lassen sich, wenn auch nur sehr entfernt, Parallelen zum Drachen Spyro ziehen, der Dracheneier vor feindseligen Invasoren einer anderen Rasse beschützt.
Die Aussage an sich, dass er seine Weltanschauung eben nicht von Videospielen gelernt hätte, dient eventuell dazu, die populistische Haltung, Computer- und Videospiele würden Gewalttäter hervorbringen, zu untergraben. Eventuell ist es auch ein Versuch, die reisserische Antwort auf die Frage, wieso er die Tat begangen hat, im Voraus auszuschalten. Und vielleicht ist sein Ziel stattdessen, Medien und Öffentlichkeit dazu zu zwingen, sich mit seinem rechtsextremen Gedankengut auseinanderzusetzen.

Im Einzelnen macht diese Interpretation eventuell Sinn, schaut man sich seine Aussagen und sein Manifest als Ganzes an, ergibt sich ein komplett anderes Bild. Tarrant bezieht sich neben dem extrem populären Fortnite – 250 Millionen registrierte Spieler – nämlich auch auf den erfolgreichsten YouTuber PewDiePie mit seinen 91 Millionen Abonnenten. Der Täter befüllte sein Manifest mit zahlreichen Memes, die auf Online-Plattformen als Insiderwitze funktionieren, filmte die Tat mit einer Helmkamera wie es die online sehr beliebten Extremsportler tun und streamte das Video live auf Facebook. Dass sich der Täter ideologisch motiviert auf diese kulturellen Artefakte bezog ist unwahrscheinlich. Spyro ist kein rechtsnationalistisches Spiel, PewDiePie ist trotz seiner Skandale rund um die Verharmlosung rassistischer Witze kein Nazi. Diese Referenzen dienen dazu, online und in den Medien die grösstmöglichen Wellen zu schlagen und hierfür bediente sich Tarrant der beliebtesten Elemente der Millenial-Kultur, in der er aufgewachsen ist. Das alles dient als reine Provokation. Das Attentat war darauf ausgerichtet sich viral über das Netz zu verbreiten und für lange Zeit Gesprächsstoff zu liefern. 

Wie gehe ich als Erziehungsberechtigter damit um?

Muss man aufgrund des Attentats die Regeln rund um Medienkonsum und im Speziellen der Kinder im eigenen Haushalt komplett neu ausrichten? Nicht zwingend. Wir von GameRights vertreten seit langem die Position, dass sich Eltern mit dem Medienkonsum der Kinder auseinandersetzen müssen und dass Eltern mit den Kindern über Videospiele und deren Inhalte sprechen und sich an den objektiven Empfehlungen von PEGI orientieren sollen. Es ist einfacher, Kindern die richtigen Werkzeuge zu geben, um mit diesen Medieninhalten zurechtzukommen, als den Konsum der Medien zu steuern – ob bei Freunden oder am Handy, Kinder können sich immer wieder der Kontrollsphäre der Eltern entziehen. Diese Haltung kann man nicht nur auf Videospiele anwenden, sondern auch auf andere Medieninhalte. 

Wir sind uns aber bewusst, dass für viele Eltern Computer- und Videospiele fremd sind. An dieser Stelle bieten wir seit Jahren mit unserer Initiative GameAgents Unterstützung an und offerieren massgeschneiderte Workshops bei denen unter anderem Erziehende und Lehrende Erfahrungen mit Spielen sammeln und Fragen an erwachsene Gamer stellen können. Weitere Informationen dazu finden Sie unter gameagents.ch oder direkt per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

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